08-14-2015, 08:09 PM
Positive Aspekte:
Negative Aspekte und offene Fragen:
Hanspeter Amstutz
- Der Lehrplan ist in einigen Fächern entschlackt worden und enthält eine durchaus vernünftige Anzahl an Kompetenzen (z. B. bei den Naturwissenschaften)
- Die Forderung nach einer Zusammenfassung der Teilkompetenzen zu Grundkompetenzen wurde erfüllt (die Kompetenzstufen und ihr vorgegebener Aufbau bleiben aber bestehen)
- Die Inhalte sind explizit wieder aufgewertet worden und werden auch mit verbindlichen Hinweisen in den einzelnen Fächern festgelegt
- Die Formulierungen der Kompetenzen ist verbessert worden. Allzu abstrakte oder völlig banale Kompetenzbeschreibungen sind weitgehend gestrichen worden
- Die Rolle der Lehrperson wird vielfältig gesehen. Grundsätzlich wird die Methodenfreiheit unterstrichen und keine Methode besonders hervorgehoben
- Bei den Grundansprüchen wird darauf hingewiesen, dass diese für einzelne Schüler noch immer zu hoch sein könnten. Eine Lernzielbefreiung in Teilbereichen wird neu akzeptiert (wohl erst nach genauer Abklärung)
- Im Fach Geschichte sind die Inhalte konkretisiert worden und die methodischen Anregungen für einen guten Geschichtsunterricht liegen näher bei den Vorstellungen der Schüler
Negative Aspekte und offene Fragen:
- Der Verzicht auf elementare Jahresziele (Grundkompetenzen) in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen wird Auswirkungen auf den Aufbau der entsprechenden Lehrmittel haben. Die Jahresplanung für die Lehrpersonen wird daher schwieriger
- Die Anzahl der verbindlichen Stufenziele in den Kernfächern ist immer noch sehr hoch. Um elementare Bildung so zu vermitteln, dass die Schüler wesentliche Bildungsinhalte verstehen und anwenden können, bleibt zu wenig Zeit. Dies könnte zur bekannten Hektik des „Durchnehmens“ möglichst vieler Kompetenzen führen
- Der Lehrplan ist nach wie vor kein benutzerfreundliches Werk. Eine übersichtliche Gliederung zwischen klar verbindlichen Bildungszielen samt Inhalten einerseits und Anregungen für weitere fakultative Bildungsziele anderseits muss man sich in den meisten Fächern zusammensuchen
- Das Festhalten an einer stringenten Planbarkeit des Kompetenzaufbaus bis ins Detail bleibt eine pädagogische Selbsttäuschung. Die grosse Heterogenität der Klassen machen die Organisation eines wissenschaftlich gesteuerten Aufbaus von Lernprozessen zu einer Herkulesaufgabe für die Lehrerinnen und Lehrer
- Die formale Einengung der Kompetenzbeschreibungen auf die stets gleichbleibende Einleitung mit dem Verb „können“ gibt dem Lehrplan den Anstrich, in erster Linie einen exakt planbaren Output anpeilen zu wollen. Bildung mit einem erweiterten Horizont müsste einige Grundkompetenzen auch mit Verben wie verstehen, kennen, usw. beschreiben
- Die Überprüfung von Lernprozessen, bei denen die Schüler auf unterschiedlichen Kompetenzstufen stehen, ist sehr aufwändig und kann in ganz vielen Bereichen nur einzelne Aspekte erfassen. Es ist anzunehmen, dass die Lehrpersonen häufig zentral ausgearbeitete Tests einsetzen werden, um die Schüler leistungsmässig differenziert erfassen zu können (ähnlich wie die Stellwerktests)
- Für Schüler mit Teilleistungsschwächen bleibt die grosse Anzahl der Kompetenzziele und fehlende Abwahlmöglichkeiten bei einzelnen Fächern trotz der Relativierung der Grundansprüche eine Belastung. Die im Lehrplan enthaltene Forderung nach einem Unterricht mit individuellen Zielsetzungen müsste eigentlich die unterschiedlichen Begabungsprofile besser respektieren
- Die wichtige Frage, wie Zeugnisse künftig aussehen sollen, ist den Kantonen zugespielt worden. Eigentlich müsste ein kompetenzorientierter Lehrplan den Weg zu einer vernünftigen Schülerbeurteilung mindestens in den Grundzügen aufzeigen
- Das pädagogisch wenig überzeugende Fremdsprachenkonzept mit dem Modell 3/5 erfüllt den Auftrag der Harmonisierung nicht. Die Fremdsprachenfrage ist für die Primarschule keine Nebensache. Beim Wegfall einer Fremdsprache gibt es Gewichtsverschiebungen zwischen den einzelnen Fächern
- Die fehlende Erprobung mindestens einzelner Bereiche des Lehrplans lässt viele Fragen offen, die vorgängig hätten geklärt werden können. Es ist zu befürchten, dass nach der Einführung des Lehrplans laufend neue Kosten anfallen werden, um gemachte Fehler wieder korrigieren zu können
- Eine Einordnung des neuen Lehrplans bezüglich seines Stellenwerts für den Schulalltag ist nach wie vor kaum möglich. Ein Deutschschweizer Lehrplan, der in erster Linie Orientierung und Koordination im Bildungswesen bringen soll, dürfte eigentlich keine Grossreform mit aufwändiger Ausbildung der Lehrpersonen auslösen
Hanspeter Amstutz